der barmherzige Samariter < Religion < Geisteswiss. < Vorhilfe
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Hallo Zusammen ,
Ich habe ein paar Fragen zu dn Texten von Ben Chorin und Martin Petzold:
Martin Petzold: Ein Auslegungsversuch von Lk 10,30-37
Die Interpretation Gottes, die Jesus in diesem Gleichnis zur Sprache bringt, hat ihren stärksten Anteil an dem betonten Unterschied zwischen den beiden Tempeldienern einerseits und dem Samariter andererseits [
].
Das Ziel, das er vor Augen hatte, war ja keineswegs die geschilderte hilfreiche Tat an einem Geschlagenen. Er plante seinen Beruf nachzugehen, seiner Familie und sich den Unterhalt zu garantieren, sich selbst an vielleicht nebensächlichen Dingen zu erfreuen. Dieser Plan wird nun nicht einfach durchgestrichen, sondern er wird in seiner konsequenten Durchführung relativiert. Als Mann, der sichtlich sich selbst für mögliche Eindrücke offen hält, geht er auf die neue Lage ein; er antwortet einem Anruf, er beantwortet die Infragestellung (als radikalisierte Annahme oder als beanspruchend) entsprechend seinen Möglichkeiten. Er entscheidet sich als Mensch für einen Menschen: jetzt, unmittelbar, ungeplant, unberechnet, ohne Umschweife und ohne Entschuldigungsgründe, die er genauso zur Hand hätte, wie die beiden anderen. Je weiter die Erzählung fortschreitet, umso wichtiger wird seine volksmäßige Herkunft. Dieses Problem verblasst zugunsten der Schilderung der Haltung dieses Mannes: Neben all den lobenswerten Qualitäten (einsatzbereit, umsichtig, selbstlos usw) ist das Wichtigste, dass der Samariter nicht nur einen Geschlagenen, sondern auch sich selbst findet; nicht nur die Barrieren zum anderen Menschen, der ihm, obwohl er ihm unbekannt und fremd ist, nahe rückt, ja so nahe, dass er sich seiner nur in unmenschlicher Haltung entziehen könnte, sondern ebenso eigenen Seins und Lebensschranken fallen. So wie ihm der andere als Mensch Gottes, d.h., als der mit allen Vor und Nachteilen von Gott grundsätzlich Angenommene, in den Blick kommt, so sieht er sich selbst in dieser Situation vor Gott gestellt, aber radikal neu, eben jetzt, als Mensch Gottes. Es findet eine eigentümliche Vertauschung statt der Rollen statt: Eben war der Geschlagene noch der Hilfsbedürftige, nun ist er, der Samariter, auf einmal der, dem geholfen wurde, geholfen zu sich selbst. Hier hat der christlich verstandene Begriff des Nächsten den haben wir bisher absichtlich vermieden seinen Ort. Nächstenschaft ist immer zweiseitig, oder besser gesagt reziprok: Wem ich Nächster werde, der wird auch mir Nächster, aber merkwürdigerweise nicht durch irgendeine nachweisbare Aktivität. Aus der Infragestellung des Samariters durch den im Wege liegenden Geschlagenen, d.h. aus der Beanspruchung, der er entspricht, kann er ein veränderter Mensch werden, weil ihm die Möglichkeit dazu geboten wird. Er kann er muss nicht -, wie die Beispiele Priester Levit zeigen.
Jesus benutzt beide, den Samariter und den Geschlagenen, für seine Interpretation Gottes.
Ich verstehe den rotmarkierten Teil nicht. Was ist hier mit Sein - und Lebensschranken gemeint?
Mit dem grünmarkierten Paragraphen habe ich auch so meine Probleme. Ich verstehe den Zusammenhang zum Gleichnis nicht. Und von welchem "Anruf" ist hier die Rede?
Liebe Grüße,
Sarah
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Desweiteren habe ich eine Frage zu einem Text von Ben Chorin, der ebenfalls Stellung zum Gleichnis des barmherzigen Samariters nimmt:
"Wer eine Seele aus Israel rettet, der rettet die ganze Welt, lehren die Rabbinen. Hier, in unserem Gleichnis, ist nun bewusst die volksmäßige Begrenzung aufgehoben: Wer eine Seele rettet, wer ein Menschenleben rettet, der hat damit eine ganze Welt gerettet, und das ist der Vollzug des Liebesgebotes.[...]
Hermann Cohen hat einmal gesagt [...], die Nächstenliebe meint nicht "Seid umschlungen, Millionen", das die Menschheit pauschal und daher unverbindlich umfasst. [...]"
Finde diesen Paragrahphen recht tricky (im prinzip der ganze Text, 3 Din A 4 Seiten lang) und hoffe, mir kann jemand den Inhalt erklären!
Liebe grüße,
Sarah
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Hi du ,
ist zwra schon ne Weile her, das ich mich in der Schule damit beschäftigen musste, aber mein Ansatz wäre ad-hoc dieser:
> "Wer eine Seele aus Israel rettet, der rettet die ganze Welt, lehren die Rabbinen.
Dazu solltest du dich in die Zeit von Chorin (1913 - 1999) zurückversetzen. Damals (wie auch noch heute) wütete der Nah-Ost-Konflikt, und Israel mitten drin. Was meint wohl ein jüdischer Religionswissenschaftler aus Jerusalem, wenn er das folgende Zitat bringt? Ich denke, er könnte gemeint haben, das Israel und der Konflikt dort schon eine Art "Pulverfass der Welt" darstellt. Wenn wir nun den Kontext zum Gleichnis des barmherzigen Samariters ziehen, soeht man Parallelen. Der Samariter (und diese Landsmänner waren Feinde der Leute aus Jerusalem) half dem verletzten Mann...
> Hier, in unserem Gleichnis, ist nun bewusst die volksmäßige Begrenzung aufgehoben:
Also hier geht es ab jetzt nicht mehr um das einzelne Volk (Israeliten), sondern um die Weltbevökerung allgemein.
> Wer eine Seele rettet, wer ein Menschenleben rettet, der hat damit eine ganze Welt gerettet, und
> das ist der Vollzug des Liebesgebotes.[...]
Eigentlich kannst du das zu 100% aus dem obigen Ansatz übertragen. Meint einfach, dass wenn jeder dem anderen hilft ("rettet"), das die Welt "gerettet" (besser als vorher) ist. Du kannst den Begriff "Vollzug des Liebesgebotes" eigentlich synonym als "Nächstenliebe" setzen...
> Hermann Cohen hat einmal gesagt [...], die Nächstenliebe meint nicht "Seid umschlungen,
> Millionen", das die Menschheit pauschal und daher unverbindlich umfasst.
Cohen (1842 - 1918) war ein deutscher Philosoph jüdischen Glaubens. Also ähnlich in der Grundeinstellung wie Chorin. Er formulierte mit seiner Aussage eigentlich eine (von mehreren) Definition der Nächstenliebe (oder wie Chorin sagte: "Vollzug des Liebesgebotes"). Cohen meinte sehr wahrscheinlich damit, das die Nächstenliebe keine Allgemeingültigkeit in Hinblick auf dessen Realität hat. Also meinte er wohl, das die Nächstenliebe oft ein anderes Aussehen hat als Chorin bzw. das Gleichnis des barmherziegen Sammariters es beschreiben...
> Finde diesen Paragrahphen recht tricky (im prinzip der
> ganze Text, 3 Din A 4 Seiten lang) und hoffe, mir kann
> jemand den Inhalt erklären!
Ja, das stimmt! Der Text ist schon tricky, und er lässt auch unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten zu !
Liebe Grüße
Analytiker
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Huhu du ,
> Ich verstehe den rotmarkierten Teil nicht. Was ist hier mit Sein - und Lebensschranken gemeint?
Dies ist ein wenig "schwammig" ausgedrückt. Der rotmarkierte Text beschriebt ja im großen und ganzen den inneren Kampf des Sammariters. Der Text sagt aus, das der Sammariter sich selbst findet, indem er dem Mann findest und hilft. Er wird vor Gott in eine Prüfung berufen. Was könnten nun "Seins- und Lebensschranken" für den Sammariter sein, um den Mann doch nicht zu helfen. Da fällt mir sofort die Feindschaft der Sammariter und der Jerusalemer ein. Das ist z.B. eine solche Schranke, die den Sammariter abhalten hätte können, aber nicht konnte das sein Glauben und Gewissen siegte. Weitere Beispiele für solche Grenzen könnte Egoismus, Gleichgültigkeit, Rachsucht usw. sein! Auch körperliche Schranken wie z.B. behindernde Krankheiten könnten Lebensschranken sein...
> Mit dem grünmarkierten Paragraphen habe ich auch so meine
> Probleme. Ich verstehe den Zusammenhang zum Gleichnis
> nicht. Und von welchem "Anruf" ist hier die Rede?
Also ich verstehe das so: Der Sammariter möchte primär seinem Beruf nachgehen. Das müssen wir erstmal als gegeben hinnehmen, denn dies tut der Text auch. Der grün markierte Absatz beschreibst (sehr schwülstig) wie flexibel der Sammariter eigentlich ist. Eigentlich will er lediglich seiner Berufung nachgehen, aber die "Lage" (Situation) ändert sich grundlegend, als er den Mann sah. Der Sammaroter wird als offen bezeichnet, der stets tollerant auf neue Rahmenbedingungen eingehen kann. Du kannst den Begriff "Anruf" sysnonym setzen mit "Anfrage"... Was meint das nun? Der Sammariter wurde "angerufen" (von z.B. seinem Gewissen), dem Mann zu helfen. Im Text steht, das er diese Infragestellung (also helfen oder nicht) beantwortete, also er tat etwas und half...
Liebe Grüße
Analytiker
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