Mehrstimmigkeit Gregorianik < Musik < Musik/Kunst < Geisteswiss. < Vorhilfe
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Hallo miteinander!
Ich bin in einem sogenannten Abendgymnasium für Berufstätige und in einigen Tagen steht mir eine Musikprüfung bevor. Ich habe für diese prüfung ein Skriptum in die Hand gedrückt bekommen, das ich jetzt selbstständig ohne LehrerIn erlernen muss.
Und nun hänge ich gewaltig an diesem Part:
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Hier der gesamte Text:
Beginn der Mehrstimmigkeit:
Die Entstehung der Mehrstimmigkeit bestimmt das Schicksal der abendländischen Musik und grenzt sie zugleich scharf gegen andere Kulturen ab. Die Geschichte der Mehrstimmigkeit steht von ihrem Beginn an in einem naturgesetzlichen, logischen Wachstim. Ihre einzelnen Phasen greifen mit unerhörter Folgerichtigkeit ineinander und verdichten sich zu einem plastischen Gesamtbild.
Die Grundlage für die Entwicklung der kunstvollen Polyphonie bildet der gregorianische Choral.
Die erste belegbare Form der abendländischen Musik heißt Organum.
Hier ist nun eine Notenzeile abgebildet mit dem Titel freies Organum
Im Internet ist dieses Bild:
http://www.mu-sig.de/Theorie/Tonsatz/grafik/grafik2/2422-1.gif
das einzige, das ich finden konnte, das dem Original annähernd enspricht..
Mit dem Unterschied, dass sich die beiden übereinanderliegenden Noten im Original noch viel extremer aufeinander zu bzw. dann wieder voneinander weg bewegen.
Bei diesem Beispiel steht noch Note gegen Note (aus der Satzweise punctus contra punctum entsteht der Begriff Kontrapunkt). In der weiteren Entwicklung bewegt sich zum Cantus Firmus, der Tenor genannt wird (tenere=halten), eine frei rhythmisierte Stimme in Melismen zu jeweils einer Note des Chorals. Diese Satzzeichen nannte man „discantieren“ (gegen oder auseinandersingen). Daraus entstand der Begriff „Diskant“, womit bis um 1600 die Oberstimme gemeint ist. Die Technik womit bis um 1600 die oberstimme von kontrapunktierenden Gegenstimmen umrankt wird heißt cantus-firmus-technik. Sie spielt in den folgenden Jahrhunderten der Musikentwicklung eine besondere Rolle.
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Hier nun meine Fragen:
Was ist nun ein Organum?
Was ist das für eine exotische schreibweise mit 2 tönen untereinander? Sind hier 2 singstimmen über und untereinandergesetzt oder ist das die instrumentalnotation?
Der Begriff Kontrapunkt hat meinen Weg nun schon öfter gekreuzt. Und ich hab ihn bis jetzt noch nicht verstanden..also was ist der Kontrapunkt nun?
Alles klar, Cantus Firmus. Nur wo ist der hier zu sehen? Kann man sich den in der Mitte dieser Notation denken? (Tenor hat hier aber nichts mit dem Stimmfach Tenor zu tun-oder?)
Was sind Melismen?
Was soll „zu jeweils einer Note des Chorals“ bedeuten?
Was ist hier jetzt der Diskant? Sind das beide Noten oder nur die obere oder wie..
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und noch eine unabhängige Frage: in weiterer Folge wird davon gesprochen dass neben dem Organum die Motette eine Gattung der Notre-Dame-Epoche ist. Was ist eine Motette, und wie grenzt sie sich vom Organum ab?
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Ich entschuldige mich an dieser Stelle für meine konfusen Fragenstellung- aber um ehrlich zu sein versteh ich praktisch nichts von diesem text.
Ich habs nun schon mehrfach mit wikipedia etc. probiert-aber alles dort erklärte ist viel zu unpräzise und viel zu schwierig für mich, der ich musiktheoretisch noch nichtmal in den Kinderschuhen stecke.
Ich bitte euch um eine möglichst einfache Umformulierung dieses Textes und eine nähere – genauso einfache Erläuterung der Fachbegriffe.
Vielen, vielen Dank im Voraus für eure Bemühungen!!
Beste Grüße, Daniel
PS: Ich WERDE vorraussichtlich diese Frage noch auf wer weiss was posten ..allerdings:
Ich habe diese Frage in keinem Forum auf anderen Internetseiten gestellt.
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Status: |
(Antwort) fertig | Datum: | 22:03 Do 28.02.2008 | Autor: | piet.t |
Hallo Daniel,
ich will mal versuchen, ob ich ein paar Deiner Fragen (wenigstens teilweise) beantworten kann...
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> Hier nun meine Fragen:
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> Was ist nun ein Organum?
>
Da hab ich mal versucht, mich ein bisschen schalu zu machen...
Einfach gesagt ist ein Organum eine bestimmte Art Musikstück. Zu Beginn der abendländischen Musikkultur wurden wohl z.B. Psalmen vor allem einstimmig gesungen. Um das ganze etwas interessanter zu gestalten fing man irgendwann an, dazu eine zweite Stimme zu singen bzw. spielen, die sich genau parallel zur ersten im festen Abstand einer Quart bzw. Quinte bewegte - die vox organalis. Und das ganze Gelbilde nannte man "Organum".
Später wurde dann die strenge parallelität aufgehoben, allerdings verwendete man als Intervalle zwischen den einzelnen Stimmen immer noch nur Quarten, Quinten und Oktaven. Auch rhythmisch laufen zunächst noch beide Stimmen genua gleich, was auch später noch gelockert wird (steht ja auch in deinem Text) - Aber immer noch heißt das ganze Ding "Organum".
Das hier sollte m.E. ein Beispiel dieser späten Organum-Form sein.
Wenn wir die unterste der drei Stimmen mal ausser Acht lassen, dann stellen wir fest, dass sich die Stimmen schon nicht mehr durchgängi parallel bewegen, dass aber ausser Quarten, Quinten und Oktaven keine anderen Abstände auftreten. Vom Rhythmus her bewegen sich die beiden Stimmen noch ziemlich gleich, nur ab und zu gibt es in einer Stimme einen zusätzlichen Zwischenton.
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> Was ist das für eine exotische schreibweise mit 2 tönen
> untereinander? Sind hier 2 singstimmen über und
> untereinandergesetzt oder ist das die
> instrumentalnotation?
Dein Beispiel sieht mir eher nach einer theoretischen Betrachtung als nach einen Musikstück aus, insofern kann man hier nicht wirklich von Singstimmen oder Instrumentalnotation sprechen. Allerdings wöre es auch nicht ungewöhnlich, zwei Singstimmen in einem Notensystem zu notieren.
>
> Der Begriff Kontrapunkt hat meinen Weg nun schon öfter
> gekreuzt. Und ich hab ihn bis jetzt noch nicht
> verstanden..also was ist der Kontrapunkt nun?
Ausgehend von dem in Deinem Text genannten "Note gegen Note" bezeichnet "Kontrapunkt" später zunöchst eine zweite Stimme, die völlig unabhängig von der Melodie läuft (sozusagen eine "Gegenstimme"). Später formt sich aus dieser Bezeichnung eine komplette Kompositionslehre für echt mehrstimmige Musik (sprich: mit wirklich selbständigen Stimmen, nicht mit Melodie und Belgleitung bzw. unterlegten Akkorden), die sich dann auch "Kontrapunkt" nennt.
>
> Alles klar, Cantus Firmus. Nur wo ist der hier zu sehen?
> Kann man sich den in der Mitte dieser Notation denken?
Wie gesagt, in Deinem Notenbeispiel sehe ich nirgends Musik, also auch keinen Cantus Firmus. Wenn man mein Beispiel anschaut, dann wäre in zusammenhang mit dem Fraglichen Abschnitt des TExtes der Cantus Firmus bzw. Tenor in der dritten Stimme: Hier wird in laaangen Noten "Alleluja" gesungen, während sich die zwei anderen Stimmen frei darüber bewegen.
> (Tenor hat hier aber nichts mit dem Stimmfach Tenor zu
> tun-oder?)
Nein, hat es nicht. In diesem Zusammenhang würde ich das Wort auch auf der ersten Silbe betonen (im Gegensatz zum Stimmfach, das die Betonung ja auf der zweiten Silbe hat).
>
> Was sind Melismen?
Ein Melisma ist, wenn man auf einer Textsilbe mehrere Noten singt -siehe Beispiel: Die oberen beiden Stimmen singen auf der Silbe "Al-" ganze zwei Zeilen lang...
> Was soll „zu jeweils einer Note des Chorals“
> bedeuten?
Sieht man auch wieder am Beispiel: der "Choral" hat den Text "alleluja" mit einer Note je Silbe, zu jeder dieser Silben gibt es eine ganze Passage in der bzw. den Begleitstimme(n).
>
> Was ist hier jetzt der Diskant? Sind das beide Noten oder
> nur die obere oder wie..
Während in den frühen Organa die Begleitstimme noch unter der Melodiestimme lag ist die melismatische "Begleitstimme" später oberhalb des Cantus Firmus angesiedelt. In meinem Beispiel wären eigentlich die beiden oberen Stimmen Diskantstimmen. Später bezeichnet Diskant grundsätzlich die oberste Stimme eines mehrstimmigen Stücks.
>
> _______
>
> und noch eine unabhängige Frage: in weiterer Folge wird
> davon gesprochen dass neben dem Organum die Motette eine
> Gattung der Notre-Dame-Epoche ist. Was ist eine Motette,
> und wie grenzt sie sich vom Organum ab?
Die Motette ist eine spätere Form eines mehrstimmigen Gesangsstücks. Wie man die genau zum Organum abgrenzen kann, kann ich jetzt aber leider auch nicht so genau sagen....
Vielleicht weiss da ja noch jemand mehr zu, deshalb stelle ich erstmal auf "teilweise beantwortet".
Gruß
piet
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also erstmal danke.. für die schnelle, umfangreiche antwort und den netten empfang :)
ich muss gestehen dass ich jetzt bereits zu müde bin um deine antworten jetzt konstruktiv nachzudenken.
also meine diesbezüglichen fragen -wenn überhaupt- morgen :)
allerdings hier noch ein nachtrag: ein exakter! ausschnitt aus dem besagten lied. Das ist vermutlich besser wie irgendein beliebiges bild das seinen zweck verfehlt so wie mein vorheriges.
http://bildrian.de/n/b/2be3a961c4eeea94.jpg
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Status: |
(Mitteilung) Reaktion unnötig | Datum: | 15:36 Fr 29.02.2008 | Autor: | piet.t |
Nur mal kurz zu Deinem Beispiel, muss leider gleich wieder weg:
das passt ziemlich zu dem, was ich gestern geschrieben habe: zwischen den beiden Stimmen gibts nur Quarten, Qiunten und Oktaven als Intervalle, allerdings ist auch das Stück nicht mehr streng parallel. Bei der Passage "...-tor De-us..." gehen die beiden Stimmen in strengen Quart-Parallelen, was bei den früheren Organa wohl für das ganze Stück üblich war. Ansosnten sehe ich da auch nichts wirklich neues....
Gruß
piet
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> und noch eine unabhängige Frage: in weiterer Folge wird
> davon gesprochen dass neben dem Organum die Motette eine
> Gattung der Notre-Dame-Epoche ist. Was ist eine Motette,
> und wie grenzt sie sich vom Organum ab?
Hallo,
bei der Motette hat jede der Stimmen, die dem cantus firmus zugefügt wird, einen eigenständigen, nicht notwendigerweise religiösen, Text.
Gruß v. Angela
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